Cybermobbing: Dramen im Netz

Cybermobbing in Österreich auf dem Vormarsch: Was versteht man unter Cybermobbing/Cyberbullying, was kann man dagegen tun und wie können wir Eltern unser Kind davor schützen? 

Cybermobbing greift in unserer Gesellschaft um sich – Österreich liegt damit laut einer Studie des Europäischen Safer Internet Programms (aus dem Jahr 2010)  im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Aber was ist eigentlich Cybermobbing? Darunter versteht man, wenn ein Kind ein anderes unter Zuhilfenahme von Internet/sozialen Plattformen/Chat/Telekommunikationsmitteln beleidigt, bedroht, verleumdet, zu einem Verhalten nötigt, belästigt oder schikaniert. Im Unterschied zu persönlichen Beleidigungen haben die Tätlichkeiten im Internet eine andere Tragweite – sie können meist nicht zur Gänze gelöscht werden und erreichen eine ungleich höhere Zahl an „Zusehern“. 

Dr. Graciela Faffelberger über Cybermobbing

Mit der Corona-Krise und der Verlagerung der Sozialkontakte ins Internet (über die Jugend im digitalen Zeitstress lest Ihr hier KLICK), könnte es weiter zunehmen, so die Expertin Dr. Graciela Faffelberger, Rechtsanwältin in Wien. Sie hat Details für uns: Was kann man im Fall von Cybermobbing/Cyberbullying tun? Wie kann man sein Kind schützen?

FAMILIENSCHATZ.AT: Welche Arten von Cybermobbing gibt es?

Dr. Graciela Faffelberger: Der Begriff Cybermobbing ist denkbar weit. Es gibt Versuche, Cybermobbing etwa entsprechend dem „Tatort“ (also entsprechend der jeweiligen Social-Media-Plattformen, via Mail etc) oder nach der Durchführungsart zu unterscheiden, jedoch wird man sehr schnell an seine Grenzen stoßen, da die Konstellationen in denen Cybermobbing geschehen kann einfach zu vielfältig sind. Eine Kategorisierung birgt zudem die Gefahr, dass man versucht alles schematisch einzuordnen, in der Hoffnung, dass erst wenn A und B gegeben sind, man von Cybermobbing sprechen kann.

Dem ist nicht so; die Opfer haben meist ein gutes Bauchgefühl, wenn es um Schikanen durch Gleichaltrige geht und fühlen sich mit ihrer Ängsten alleine gelassen, weil der Sachverhalt für die Erwachsenen auch nach einem „Zwist unter Jugendlichen“ aussehen kann. Die häufigsten Arten von Cybermobbing geschehen schriftlich (zB Hinterlassen von Beschimpfungen oder Drohungen auf der online-Pinnwand) oder visuell (zB Versenden von (bearbeiteten) Fotos). Es ist auch denkbar, dass Cybermobbing darin bestehen kann, dass jemand beharrlich ignoriert wird oder aus Online-Gruppen hinausgeworden wird; man wird allerdings immer den Kontext beachten müssen. Beim Cybermobbing geht es im Kern darum das Opfer spüren zu lassen, dass er/sie „nicht zu uns“ gehört und wertlos ist, daher wird in aller Regel versucht werden, das Opfer zu erniedrigen oder anderweitig zu schikanieren.

Täter oder Opfer? Tipps gegen Cybermobbing gefragt

Der Täterkreis selbst kann hinsichtlich der Täteranzahl, des Geschlechts oder auch hinsichtlich des Alters variieren; mitunter bedient man sich auch einer schweigenden beobachtenden Gruppe, die sich nicht traut einzuschreiten oder Dritte zu verständigen, die dem Cybermobbing ein Ende bereiten könnten.

Eng verwandt mit dem Cybermobbing ist das sog Cybergrooming, bei dem der meist erwachsene Groomer sich schrittweise das Vertrauen des Opfers erschleicht um es dann – auch unter Androhung mit der Veröffentlichung von Nacktfotos, die das Opfer im Vorfeld an den Groomer als „Vertrauensbeweis“ selber versendet hat, – das Opfer zu einer sexuellen Handlung zu nötigen

Aufgrund der Coronakrise werden sehr viele Kinder den sozialen Kontakt mit Gleichaltrigen über soziale Netzwerke bzw virtuell aufrechterhalten müssen, um die Ansteckungsgefahr zu vermeiden; in diesem Zusammenhang wird die Thematik Cybermobbing meiner Einschätzung nach an Brisanz zunehmen.

FAMILIENSCHATZ.AT: Welche Dynamik entsteht beim Cybermobbing?

Dr. Graciela Faffelberger: Beim Cyberbullying läßt sich im Nachhinein nicht immer genau eruieren, wer eigentlich angefangen hat. Mitunter war es „nur“ ein Missverständnis, eine Streiterei unter FreundInnen, ein fehlendes Like oder das „überhebliche“ Profilfoto. Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass sich die Belästigungen alleine auf das Internet beschränken; oftmals geht es in der realen Welt im Klassenzimmer oder in der Freizeit weiter. Durch die Verschränkung zwischen realer Welt und Cyberwelt hat das Opfer das Gefühl, auch zu Hause nicht sicher zu sein. Es zieht sich von seinen Eltern und der „realen“ Welt zurück, bricht aber meistens den Kontakt zur Online-Welt nicht ganz ab.

Die Konsequenzen sind je nach empfundenen Intensität der Belästigung weitreichend und können bis hin zu selbstverletzendem Verhalten und Suizid des Opfers reichen. Traurige Berühmtheit haben unter anderem die Fälle Megan Taylor Meier (USA 2006), Amanda Michelle Todd (Kanada 2012) und für Österreich Joel (2011) erlangt. Selbst wenn das Opfer nicht bis zum Äußeren in der Selbstverletzung geht, muss an dieser Stelle betont werden, dass das erlittene Trauma nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit des Opfers geheilt ist. Die Langzeitfolgen für erwachsene ehemalige Opfer sind mitunter gravierend – sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht – da das Gefühl der Hilflosigkeit und große Selbstzweifel oftmals lange nachklingen und mitunter nicht alleine bewältigbar sind.

Kinder sollten von Klein auf den vorsichtigen Umgang mit den digitalen Medien lernen

FAMILIENSCHATZ.AT: Was können Eltern und Kinder vorbeugend tun, damit Kinder nicht zum Cybermobbing-Opfer werden?

Dr. Graciela Faffelberger: Eine Patentlösung ist nicht so einfach. Jedes psychologische Mindset ist anders und die Bewältigungsstrategien sind beim Einzelnen unterschiedlich ausgeprägt. Man darf nicht vergessen, dass wir hier nur von Faktoren sprechen, die das Risiko minimieren können, nicht selber zum Opfer zu werden. Neben der Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins hat sich für die reale Welt bewährt, direkt die Belästigungen oder etwaige Missverständnisse anzusprechen – und das auch im Rahmen der Klasse. Sollte es zu Belästigungen im realen Leben kommen, empfiehlt es sich auch, schreiend auf sich aufmerksam zu machen; viele Mobber rechnen in den meisten Fällen nicht damit und in der Regel werden Opfer, die stumm alles ertragen, gezielt ausgesucht.

In der Cyberwelt ist dies eine etwas größere Herausforderung. Zu empfehlen ist in jedem Fall, dass Kinder/Jugendliche ihre Schritte in der Cyberwelt mit elterlicher Supervision tun und dabei darauf geachtet wird, nicht zu viel Persönliches über sich mitzuteilen. Das Verschicken von Selfies via Smartphone oder Handy von Kindern/Jugendlichen sehe ich als problematisch an und sollte immer in Abstimmung mit den Eltern geschehen, wobei im Zweifel gelten sollte: lieber nicht – man weiß nicht, was mit dem Foto geschehen kann.

Strategien gegen Cyberbullying

FAMILIENSCHATZ.AT: Was sollte Kindern in der Schule vermittelt werden, um Cybermobbing zu reduzieren?

Dr. Graciela Faffelberger: In erster Linie geht es darum, den Kindern Empathiefähigkeiten und Werte zu vermitteln; es geht darum, ein Gruppengefühl zu erzeugen das nicht auf Ausgrenzung basiert und jeden mit seinen Unterschieden zu respektieren. Die PädagogInnen spielen in diesem Kontext eine wichtige Rolle, sind diese doch meistens der Ersten die merken können, wenn das Klassengefüge Risse bekommt.

Aktuell stehen wir – auch als Gesellschaft – vor einer großen Herausforderung mit unseren Kindern/Jugendlichen in einer digitalen Welt. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Coronakrise wird Homeschooling forciert und der Kontakt zur gleichaltrigen Peergroup findet verstärkt im Internet statt. Auch wenn die Eltern im Homeoffice arbeiten, werden sie neben der beruflichen Belastung auch den schulischen Fortschritt ihrer Kinder zu überwachen haben. Die Familienmitglieder werden nur die Wohnung als Rückzugsort haben, was sich in Spannungen entladen kann, die wiederum das familiäre Gleichgewicht belasten können. Ich appelliere in diesem Zusammenhang verstärkt an die Eltern, Bezugspersonen und Lehrkräfte der Kinder/Jugendlichen sich immer wieder darauf zu besinnen, dass die verstärkte Nutzung von Internetangeboten auch zu einer Erhöhung des Risikos von Cyberbullying&Co führen kann und gerade in diesen Zeiten eine vertrauensvolle Kommunikation mit unseren Kindern entscheidend ist und ein Monitoring des Internetgebrauchs unumgänglich ist. Der Tatort ist noch immer zu häufig der Internetanschluss in den eigenen vier Wänden.

FAMILIENSCHATZ.AT: Wie häufig ist Cybermobbing in Österreich / im internationalen Vergleich?

Dr. Graciela Faffelberger: Der angloamerikanische und skandinavische Raum hat bereits vor knapp 10 Jahren angefangen, sich mit der Thematik des Cybermobbing auseinanderzusetzen. 2010 kam eine Studie des Europäischen Safer Internet Programm zum Ergebnis, dass Österreich im oberen Drittel im europäischen Vergleich lag. Im Juni 2019 stellte eine Umfrage der UNICEF fest, dass über 1/3 der befragten Jugendlichen in 30 Ländern Cybermobbing Opfer gewesen sind; die teilnehmenden Jugendlichen stammten etwa aus Ländern wie Ecuador, Jamaika, Montenegro, Nigeria oder Rumänien. Das beweist, dass Cyberbullying längst ein globales Problem geworden ist.

 

Infos von Dr. Graciela Faffelberger zur Rechtslage bei Cybermobbing

  • Kein eigens benannter Cybermobbing Tatbestand im Strafrecht
  • Im Strafrecht können in Betracht kommen: Körperverletzung beim Happy Slapping (die körperliche Attacke auf das Opfer wird gefilmt und ins Internet gestellt), beharrliche Verfolgung („Stalking“), Verleumdung, Ehrenbeleidigung oder Üble Nachrede. Bei sexueller Komponente wie Herstellung von Nacktbildern, Cybergrooming sind Sittlichkeitsdelikte zu prüfen.
  • Erst aufgrund des tragischen Suizids von Joel (2011) und dem Engagement seiner Mutter Michaela Horn wurde der Tatbestand des § 107c StGB Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems eingeführt, der sowohl Ehrverletzungen bzw die Wahrnehmbarmachung von Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches unter Strafe stellt, wenn dies – verkürzt gesagt – die Eignung hat, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen. Zu betonen ist, dass es hier auf die Eignung des Verhaltens ankommt, eine tatsächliche Beeinträchtigung muss nicht vorliegen. Die geforderte Eignung wird etwa beim Bruch mit dem Freundeskreis/sonstigen Sozialkontakten, Schulwechsel oder Ausstieg aus sozialen Netzwerken vorliegen. Bei Suizid oder Suizidversuch des Opfers erhöht sich der Strafdrohung auf eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren.

  • In zivilrechtlicher Hinsicht kann Schadenersatz gem §1330 ABGB begehrt werden, da Kommentare im Rahmen von Cyberbullying die Personenwürde betreffen können (etwa bei beleidigendem Inhalt).

  • Sowohl in strafrechtlicher als auch in zivilrechtlicher Hinsicht ist jedoch zu beachten, dass die jeweilige geforderte Deliktsfähigkeit erst mit 14 Jahren beim Täter eintritt. Jedoch ist in zivilrechtlicher Hinsicht möglich, dass bei Schädigung durch den unmündigen Täter generell eine Haftung des Aufsichtspflichtigen in Betracht kommen kann. 

 

Fotos: beigestellt

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