Pro & Contra: Familienmodell Co-Parenting
Schon von Co-Parenting gehört? Familienschatz-Coach in Erziehungsfragen, Mag. Heike Podek, fragt sich: Ist eine Liebesbeziehung notwendig für eine Familie???
Michael (47), Manager und nach drei gescheiterten Beziehungen Single, er hat sein Leben im Griff, ist glücklich im Job, hat ein tolles Haus und liebt sein Hobby. Trotzdem fehlt ihm etwas: Er hat sich immer ein Kind gewünscht…
Jasmin (39), selbständig und erfolgreich, wohnt in einer tollen Stadt, hat einen großen Freundeskreis, aber findet einfach nicht den Mann für’s Leben. Dabei wünscht sie sich so sehr ein Kind und ihre biologische Uhr tickt …
Die beiden kennen sich nicht und haben eigentlich auch nichts miteinander zu tun. Dann aber treffen sie einander auf dem Online Portal Familyship, weil sie Eltern werden wollen. Sie lernen sich kennen und entscheiden sich schließlich gemeinsam ein Kind zu zeugen und dieses gemeinsam groß zu ziehen – ohne Beziehung, ohne Liebe und ohne Sex. Das ist Co-Parenting.
Absurdität oder …?
Als ich die Bitte erhalte einen Artikel zum Thema Co-Parenting zu schreiben, lehne ich zu allererst einmal dankend ab (zu meinem Artikel über Empathie geht es hier, über Strafen hier). Was für eine Absurdität, ein Kind zu zeugen und gemeinsam groß zu ziehen, ohne eine Liebesbeziehung einzugehen, kam es mir in den Sinn … das ist doch verrückt.
Co-Parenting, so die Definition von Wikipedia ist „eine postmoderne Form der Familiengründung, bei der eine Frau und ein Mann sich gezielt zusammentun, um (meist ohne Sex) ein Kind zu zeugen und dann in enger Abstimmung arbeitsteilig auszuziehen, wobei die Eltern in der Regel in getrennten Haushalten leben.“
Nach einigem Überlegen willige ich schließlich ein. Unter der Bedingung, dass ich all meine Kritik mit in diesen Artikel einfließen lassen darf. So beginne ich mich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Ja klar, Familien sind schon seit einiger Zeit im Wandel – das Modell, dass Mann und Frau sich kennenlernen, heiraten, zusammenziehen und sich dann entscheiden gemeinsam Kinder zu kriegen ist schon lange nicht mehr die Norm. Viele junge Eltern sind heute nicht verheiratet, andere lassen sich scheiden, heiraten erneut. Patchwork-Familien sind für uns total „normal“ geworden und gesellschaftlich voll akzeptiert.
Co-Parenting als neues Modell der Familiengründung
Aber wie sieht das neue Modell der Familiengründung, das Co-Parenting praktisch aus? Eltern, die sich fürs Co-Parenting entschieden haben, lernen sich meist wie auch Michael und Jasmin auf einer Online Plattform kennen. Empfohlen wird, sich über einen längeren Zeitraum (ungefähr ein Jahr lang) näher kennenzulernen und sich über Vorstellungen, Erziehungsmethoden, Wünsche, Religion usw. auszutauschen. Nur wenn es wirklich passt, sollte man sich entscheiden, ein gemeinsames Kind zu zeugen (in der Regel geschieht dies nicht auf natürlichem Weg). Vor der Befruchtung wird außerdem geklärt, wer wieviel Zeit mit dem Kind verbringen wird, wer welche Zuständigkeiten hat und inwiefern Verantwortlichkeiten aufgeteilt werden.
Plötzlich erkenne ich erste Vorteile gegenüber einer anonymen Samenspende und / oder Scheidungskindern. Bei einer anonymen Samenspende ist der Vater für die Mutter und das Kind nicht präsent, d.h. die Mutter hat zwar keinerlei Einmischung in die Erziehung ihres Kindes, aber auch keinerlei Unterstützung. Sie ist quasi alleinerziehend.
Das Kind kennt seinen Vater nicht. Und das kann erwiesenermaßen oft gerade in der Pubertät zu Schwierigkeiten führen – denn in der Zeit geht es darum herauszufinden „wer bin ich und wo komme ich her“. Beim Co-Parenting hingegen hat das Kind regelmäßigen Kontakt zu einem Vater, der es liebt, Verantwortung übernimmt und sich um sein Kind kümmert.
Vorteil: der Vater ist präsent
Aus vielen Studien wissen wir, dass Scheidungskinder unter der Trennung ihrer Eltern sehr leiden und durch aufkommende Streitigkeiten bei den Besuchskontakten leiden. Auch Auseinandersetzungen über Entscheidungen und die häufig fehlende Wertschätzung der Ex-Partner, geht an den Kindern nicht spurlos vorbei. Viele Scheidungskinder fühlen sich zwischen ihren Eltern hin- und hergerissen, haben Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte.
Wenn sich die Eltern, wie beim Co-Parenting angestrebt, gegenseitig mit Wertschätzung und Respekt begegnen, fallen viele Schwierigkeiten und Konflikte weg. Und auch wenn es zwischen diesen Eltern zu Auseinandersetzungen oder Meinungsverschiedenheiten kommt, werden diese höchstwahrscheinlich weniger emotional ausgetragen.
Kinder brauchen die Wahrheit
Je mehr ich mich also mit dem Thema beschäftigte, umso geringer wird meine anfängliche Skepsis diesem neuen Familienmodell gegenüber. Da tritt im Gespräch mit einer Kindergartenpädagogin ein weiterer Kritikpunkt auf, als ich ihr von der Idee zu diesem Artikel erzählte: “Wenn die Kinder spätestens im Kindergarten herausfinden, dass in anderen Familien Mama und Papa zusammenleben, sich lieben und eine richtige Beziehung führen, dann kommen die Fragen und es wird schwierig.”
Infolge meiner langjährigen Arbeit mit Familien mit ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen bin ich aber der festen Überzeugung: Kinder kommen gut damit zurecht, wenn ihre Eltern ihnen auf angemessene und altersadäquate Art und Weise die Wahrheit sagen.
Das gilt auch für Co-Parenting: Dieses ist ein Familienmodell unter vielen und die Kids leben damit genauso gut wie Kinder, die in Regenbogenfamilien groß werden, deren Eltern sich getrennt haben etc. Sie werden im Kindergarten oder in der Schule, wo über Familie und die einzelnen Zusammensetzungen gesprochen wird, einfach mitteilen: ihre Konstellation ist eine Möglichkeit unter vielen .
So bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Co-Parenting für Menschen mit Kinderwunsch eine gangbare Alternative zur anonymen Samenspende darstellt – gerade dann, wenn man sich wünscht, dass sein Kind beide Elternteile zur Verfügung hat.
Gesellschaftliche Anerkennung?
Wie gut sich dieses Modell in der Praxis organisieren und umsetzen lässt und was passiert, wenn einer der Elternteile sich doch noch verliebt, eine andere Partnerschaft eingeht, die Großeltern sich einmischen u.ä.? Das wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen.
Trotz allem bleibt bei mir ein eigenartiger Beigeschmack zurück … jedoch weniger durch das Familienmodell des Co-Parenting selbst, sondern durch die Tatsache, wie sich unsere Gesellschaft und wir Menschen verändern. Individualität steht an erster Stelle , alles wird distanzierter und rational – Gefühle bleiben auf der Strecke.
Die Wenigsten wollen sich noch auf echte Beziehungen einlassen – sie wollen ihr Leben leben, alles haben, aber auf nichts verzichten. Kompromisse eingehen ist schwierig und bei all dem bleibt der eigentliche Wert einer Familie – die Liebe auf der Strecke … Ich frage mich: Wollen wir das unseren Kindern auf ihren Weg ins Leben wirklich mitgeben???
Familien-Coach als Ratgeber bei verschiedensten Erziehungsfragen
Mag. Heike Podek
Beziehungsorientierter Coach für Eltern und Kinder in schwierigen Phasen
Tel.: 0676/790 58 37
Fotos: pixabay.com
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